Revolution

Haus des Lehrers

Das Haus des Lehrers in der Bildmitte vor blauem Himmel.

Haus des Lehrers, 2022.

Menschenmenge auf dem Alexanderplatz. Links hinten befindet sich das Haus des Lehrers. Mittig die Weltzeituhr.

Haus des Lehrers (li.), 7. Oktober 1989.

HAUS DES LEHRERS

Kommandoposten der Staatsgewalt

Am 40. Gründungstag der DDR will deren Führung sich selbst feiern. Doch Tausende demonstrieren gegen Wahlfälschungen und für Freiheit. Der brutale Polizeieinsatz gegen sie wird vom Haus des Lehrers aus geleitet.

DIE GESCHICHTE HÖREN

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"Drei Zivilisten und ein Polizist kamen auf uns zu. Bevor sie etwas tun konnten, schrie ich aus Leibeskräften: 'Nicht schlagen, ich bin schwanger.' Ich duckte mich mit dem Bauch zur Wand, mein Freund schützte mich von hinten, doch sie schlugen zu viert brutal auf uns ein." So berichtet eine junge Frau von dem Wochenende, an dem die DDR ihren 40. Jahrestag begeht.

Geleitet wird der Einsatz der Staatsmacht gegen friedliche Demonstrierende vom Haus des Lehrers am Alexanderplatz aus. Von dort überblicken Geheimdienstoffiziere den Platz und das Geschehen. Der Alexanderplatz ist im Revolutionsjahr 1989 ein Ort der Auseinandersetzungen. Regimegegnerinnen und -gegner versuchen dort mehrfach, jeweils am Siebten des Monats gegen das offizielle Ergebnis der Kommunalwahl vom 7. Mai zu protestieren. Damals haben unabhängige Beobachter massive Fälschungen festgestellt. Die Staatssicherheit beendet die Aktionen gewaltsam.

Am 7. Oktober fällt der Wahlprotest genau auf das 40. Gründungsjubiläum der DDR. An diesem Tag zählt auch Michail Gorbatschow zu den Ehrengästen, die im Palast der Republik mit allem Pomp begrüßt werden. Der sowjetische Staats- und Parteichef hat in den vergangenen Jahren begonnen, sein Land zu reformieren und den Menschen in begrenztem Umfang Freiheitsrechte zu gewähren. Für viele Enttäuschte in der DDR ist er ein Hoffnungsträger. So verbindet sich der Wahlprotest mit einer spontanen Demonstration. Mehrere Tausend streben zum nahen Palast der Republik und zu Gorbatschow. Die Menschen rufen "Freiheit, Freiheit", "Gorbi hilf" oder "Wir sind das Volk". Uniformierte versperren die Spreebrücken, die zum Palast führen. Der Zug bewegt sich daraufhin zur Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg, wo sich seit einigen Tagen Menschen zu Andachten für verhaftete Protestierende einfinden.

Zwischen Alexanderplatz und Gethsemanekirche prügeln Polizisten ohne Anlass auf Demonstrantinnen und Demonstranten ein und zerren sie auf Lastwagen. Oft greifen sie auch Passanten oder Anwohner auf, darunter manches SED-Mitglied. Die sogenannten "Zugeführten" werden zunächst auf Polizeirevieren in der Nähe festgehalten, dann werden sie ins Gefängnis Rummelsburg oder in weiter außerhalb gelegene Polizeidienststellen gebracht. Sie müssen stundenlang mit dem Gesicht zur Wand stehen. Aufgehetzt durch Vorgesetzte oder durch Gerüchte, misshandeln und erniedrigen Polizeikräfte die Festgenommenen.

Über 1.000 Menschen machen an diesem Wochenende die Erfahrung, den "bewaffneten Organen" ausgeliefert zu sein. 58 Verletzte müssen in Krankenhäusern behandelt werden, Hunderte weitere tragen Spuren der Polizeiknüppel. Doch die Gewalt kann den SED-Staat nicht retten. Trotz dieser Berichte strömen auf der Montagsdemonstration am 9. Oktober in Leipzig Zehntausende zusammen. Ende Oktober 1989 muss er einer Untersuchungskommission zu den Polizeieinsätzen in Ost-Berlin zustimmen. Sie deckt auf, dass es, anders als behauptet, keineswegs zu Gewalt gegen die Polizei kam. Das Gremium kann aber nicht verhindern, dass die Gerichte nur wenige, noch dazu milde Urteile gegen die Täter in Uniform verhängen. Das gilt für jene auf der Straße ebenso wie für die Befehlsgeber im Haus des Lehrers.

HAUS DES LEHRERS

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Vom Haus des Lehrers aus koordiniert die Polizei am 7. Oktober 1989 einen brutalen Einsatz gegen Protestierende. Diese wollen die DDR erneuern und gehen an ihrem 40. Jahrestag auf die Straße. Aktive aus der Bürgerrechtsbewegung berichten, was sie an diesem Tag erleben.
 

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Intro
Frank Pfeifer ruft zum Protest auf.
Evelyn Zupke steht unter besonderer Beobachtung der Stasi.
Bärbel Reinke ist entsetzt vom Vorgehen der Staatsmacht.
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Haus des Lehrers

Am 7. Oktober 1989 wird offiziell das 40-jährige Bestehen der DDR gefeiert. Doch nicht alle sind in Jubelstimmung. Seit dem Betrug bei den Kommunalwahlen im Mai gibt es immer wieder Protest. Auch am Jubiläumstag soll eine Protest-Demonstration stattfinden. Dabei haben viele Bedenken, an diesem Tag auf die Straße zu gehen. Zurecht, denn die Staatsgewalt geht, gesteuert von der Einsatzzentrale im Haus des Lehrers am Alexanderplatz, brutal gegen die Demonstrierenden vor.

ZEITZEUGE

Frank Pfeifer

Für Frank Pfeifer steht fest, er wird auch am Jubiläumstag gegen die DDR demonstrieren. Gemeinsam mit der Bürgerrechtlerin Evelyn Zupke engagiert er sich im Friedenskreis Weißensee. Er berichtet, wie sie Menschen zum Protest aufrufen.

"Die nächsten Schritte waren, dass am 7. Oktober eine Demonstration anstand. Das war der 40. Nationalfeiertag der DDR. Und das war – was viele heute nicht gerne hören – das war für viele schwierig, da sich einzubringen. Die einfach gesagt haben: Das wird zu heiß! Auch unser Friedenskreis sagte: Wir machen da eine Aktion in der Kirche. Wir gehen dann ins Gemeindezentrum und verzichten auf eine Demonstration. Auch andere Gruppen sagten einfach: Leute, wir setzen einmal aus. Und dann waren es nur noch Evelyn Zupke und ich, die übrig geblieben waren und mit so einer geborgten kleinen Druckpresse solche kleinen Zettelchen herstellten und dazu aufriefen. Die Umweltbibliothek hat die mit ausgelegt. Wir haben die auch in der Nacht in Briefkästen verteilt und sowas alles: 7. Oktober, 17.00 Uhr Weltzeituhr! Dazu haben wir die Leute eingeladen. Das wurde die erste wirklich größere Demonstration mit einigen Tausend Teilnehmern, die dann am 7. Oktober von der Weltzeituhr am Alexanderplatz aus ihren Zug raus nahm zur Gethsemanekirche."

ZEITZEUGIN

Evelyn Zupke

Evelyn Zupke gehört zu den bekanntesten Organisatorinnen der Proteste. Sie und ihre Mitstreitenden stehen daher unter ganz besonderer Beobachtung durch den Staat. Zunächst wollen sie vorsichtig sein und am 7. Oktober nicht selbst auf die Straße gehen. Doch dann, erinnert sie sich, stellt sich die Situation anders dar als erwartet.

"Der Tag entwickelte sich ganz dynamisch und später am Abend des 7. Oktober entstanden ja in der ganzen Innenstadt von Ost-Berlin die ersten Massendemonstrationen. Da sind wir dann auch wieder mit rausgegangen. Wir haben sämtliche persönliche Sachen, wie Ausweise und alles in irgendeinem Keller da in der Kirche versteckt. Die Straßenbahnen waren nachher gesperrt. Manche kamen gar nicht mehr zurück in die Gethsemanekirche. Nur noch Anwohner wurden durchgelassen. Und, was unbedingt zu erwähnen ist zu diesen Oktobertagen, ist ja, dass man überhaupt nichts wusste. Das ging alles so schnell. Das entwickelte eine unheimliche Dynamik. Von 'Schießbefehl' war die Rede, unten in Leipzig, in Berlin. Keiner wusste, was passiert ist. Man wusste von Menschen, die in Krankenhäusern arbeiteten, dass Blutkonserven bereitgestellt wurden. Man hatte die chinesische Lösung im Hinterkopf. Es war so eine wilde Zeit mit sehr viel Aufregung und auch steigender Angst."
 

ZEITZEUGIN

Bärbel Reinke

Die Ost-Berlinerin Bärbel Reinke erzählt, wie fassungslos sie über das Vorgehen der Staatsmacht gegen die Demonstrierenden ist. 

"Wir fuhren mit der Straßenbahn, weil wir mit einem Mal merkten, dass man gar nicht mehr überall hin und ran kam. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich weiß nicht, was unsere, – ich meine militärisch gesehen – für Geräte zur Verfügung hatten. Diejenigen in der Straßenbahn kamen von dieser Festveranstaltung. Die Leute, die da drinsaßen, mit ihrer roten Nelke in der Hand. Die Straßenbahn fuhr an einer Querstraße vorbei und ich sagte zu meinem Mann: Was ist denn das? Wir haben doch – das klingt jetzt albern – keinen Schnee. Wieso steht da ein Schneeschieber? Das waren diese großen Geräte, die man da schon vorgefahren hat. Ich habe gesagt: 'Das kann doch nicht sein, dass die die Menschen da wieder zur Räson bringen wollten, oder?' Das war aber die Absicht. Ich wollte es nicht begreifen."

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