Revolution

Gethsemanekirche

Die Gethsemanekirche aus rotem Backstein steht an einer Straßenkreuzung. Menschen passieren zu Fuß und auf Fahrrädern.

Gethsemanekirche, 2022.

Menschenmenge vor dem Altar in der Kirche. Darüber hängt ein Banner mit der Aufschrift: Einstellung der Ermittlungsverfahren. Aufhebung der Strafbefehle.

Mahnwache in der Gethsemanekirche am Morgen des 8. Oktober 1989.

GETHSEMANEKIRCHE

Der sanfte Unruheherd

Im Herbst 1989 ist die Gethsemanekirche Treffpunkt der Opposition in der DDR. Trotz brutaler Polizeieinsätze bleiben die Proteste friedlich.

DIE GESCHICHTE HÖREN

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Am 1. Oktober 1989 fällt der Kirchenrat der Gethsemanegemeinde eine scheinbar unbedeutende und doch historische Entscheidung. Das Gremium erfüllt die Bitte Oppositioneller, das Gotteshaus für eine Mahnwache zu öffnen. Die engagierten Christen wollen für die Freilassung von Demonstrierenden eintreten und beten, die in Leipzig festgenommen wurden. Dort tragen einige Mutige schon seit Wochen den Protest jeden Montagabend von der Nikolaikirche in die Stadt. Auch die Regimegegner in Ost-Berlin bedroht die Staatsgewalt, sie stehen unter scharfer Beobachtung durch die Spitzel der Geheimpolizei.

Die Mahnwache findet ein überwältigendes Echo. Am Abend des 4. Oktober kommen 3.000 Menschen in die Kirche. Manche harren dort Tag und Nacht aus, eine Handvoll fastet. Auf eine Andacht folgt Abend für Abend ein sogenannter politischer Teil. Jeder kann ans Mikrofon treten und sich frei äußern, was sonst in der Öffentlichkeit nirgends möglich ist. Opfer von Verhaftungen und Misshandlungen berichten über ihre Erlebnisse. Andere verlesen Namen von Festgenommenen und informieren über Widerstand und Verfolgung in der ganzen DDR. Informationen erhalten sie rund um die Uhr über das Kontakttelefon im Gemeindebüro.

Die meisten Anrufe kommen rund um den 7. Oktober 1989. Es ist der 40. Geburtstag der DDR, den das Regime mit Massenkundgebungen feiert. Doch auch ein Protestzug gegen die herrschende SED findet sich spontan zusammen und bewegt sich in Richtung Gethsemanekirche. Rund um das Gotteshaus gehen Polizei und Geheimdienst brutal gegen die Demonstrierenden vor und nehmen Hunderte fest, viele flüchten in die Kirche. Westliche Fernsehteams sind vor Ort und verbreiten Bilder von der Gewalt. Angehörige und Freunde von Festgenommenen aus der ganzen DDR kommen in die Kirche, um etwas über deren Schicksal zu erfahren.

Am 9. Oktober ist die Stimmung besonders gespannt. Aus Leipzig kommen Nachrichten über zusätzlich bereitgestellte Krankenhausbetten und Blutkonserven. Das nährt die Angst, die Montagsdemonstration könnte brutal niedergeschlagen werden. Dann, so denken viele, würde die Staatsmacht sicher auch gegen den friedlichen Protest in der Gethsemanekirche vorgehen. Doch bald kommt die erlösende Nachricht, dass es in Leipzig nicht zu staatlichen Gewaltakten kam. Die 70.000 Demonstrierenden sind so viele, dass sich die Verantwortlichen nicht zur Gewaltanwendung entschließen. Die Menge in der Gethsemanekirche jubelt. Viele Anwesende empfinden diese Neuigkeit als Wendepunkt. Echte Veränderung scheint nun möglich.

Über das Ende der Nachtschichten in der Gethsemanekirche am 13. Oktober hinaus bleibt sie ein wichtiger Treffpunkt für neu gegründete politische Gruppen in der DDR. Das Neue Forum oder Demokratie Jetzt stellen dort ihre Ideen vor, Kreative und Initiativen geben Erklärungen ab. Sie alle diskutieren über die Zukunft der DDR. Nach den freien Wahlen im März 1990 feiert die Volkskammer in der Gethsemanekirche einen Gottesdienst. So endet die friedliche Revolution an einem ihrer Brennpunkte.

GETHSEMANEKIRCHE

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Die Gethsemanekirche bietet Schutz für Andersdenkende. Ein Telefon im Gemeindehaus hilft den Oppositionellen in der DDR, miteinander in Kontakt zu bleiben. Aktive von damals berichten über Gespräche und Aktionen.

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Intro
Margitta Kupler nimmt Anrufe am Kontakttelefon entgegen.
Frank Ebert organisiert eine Mahnwache.
Marianne Birthler spricht über die Uneinigkeit der DDR-Oppositionellen.
Erinnerungen hören Erinnerungen lesen

Gethsemanekirche

Während der friedlichen Revolution bietet die Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg Menschen, die gegen das politische System aufbegehren, einen wichtigen Schutzraum. Hier organisieren sie sich und tauschen wichtige Informationen aus.

ZEITZEUGIN

Margitta Kupler

Die Gemeinde überlässt Aktiven aus der Bürgerbewegung ihren Telefonanschluss. Die damals 16-jährige Ost-Berlinerin Margitta Kupler erzählt, wie sie am sogenannten Kontakttelefon Anrufe aus der ganzen DDR entgegennimmt.

"Wir waren die Informationssammelstelle und die Informationsweitergabestelle und es ging einfach darum, zu sagen: Was passiert hier im Staat gerade? Also: Wo sind Demonstrationen? Wo sind Aufrufe? Wo kann man sich engagieren? Aber auch: Was passiert gerade? Gab es Verhaftungen? Man muss sagen, wenn es zu Verhaftungen kommt, zur Inhaftierung. Das Kontakttelefon hat sich ja daher gegründet. Man muss gucken, dass man nicht in die Anonymität, ins Vergessen, abrutscht, sondern dass hier ein offizielles Forum geschaffen wird, um zu sagen: Wir wissen das! Wir wissen das und wir werden danach fragen: Wo sind die? Wann kommen die wieder frei? Was wird ihnen vorgeworfen? Hält sich hier der Staat an die rechtlichen Normen?"

ZEITZEUGE

Frank Ebert

Frank Ebert engagiert sich als junger Erwachsener für die friedliche Revolution. Er erinnert sich, wie er in der Gethsemanekirche 1989 gemeinsam mit anderen eine Mahnwache für die Freilassung politischer Gefangener organisiert.

"Also das Besondere an der ganzen Situation damals im Oktober 1989 war, dass die Bevölkerung die Aktion sehr wohlwollend angenommen hat und sich teilweise auch aktiv solidarisiert hat. Also gleich am Anfang. Das ging los mit Essensspenden: Tee, Kaffee und Brot, sowas eben. Das war völlig phänomenal und das ging innerhalb ziemlich kurzer Zeit. Man muss sich das so vorstellen: Am ersten Tag waren wir vielleicht zwanzig Leute da in der Kirche. Das waren natürlich nur die, die davon wussten. Und am nächsten Tag waren es schon ein paar Hundert und dann wurden es eben mehrere Tausend."
 

ZEITZEUGIN

Marianne Birthler

Die Bürgerrechtlerin Marianne Birthler spricht darüber, dass sich die DDR-Oppositionellen 1989/90 uneinig darüber sind, was sie genau bewirken wollen.

"Das war wie ein Magnet. Viele Leute, die unzufrieden waren, sind da hingekommen. Das hat ja dann später häufig Frust erzeugt: Wo sind die ganzen Bürgerbewegten geblieben? Das waren doch mal Tausende! Das halte ich aber für einen verhängnisvollen Irrtum. Also: Es waren sich sehr viele Leute in der DDR einig in der Frage, wogegen sie sind. Die so existierende DDR, die hatte keine Zustimmung mehr. Wenn man andersherum fragt: Wofür seid ihr denn dann, wenn ihr diese DDR nicht mehr wollt? Dann gingen die Meinungen natürlich sehr auseinander. Da können, glaube ich, die Leute, die aus der Bürgerbewegung kommen, nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, wirklich im Sinne von Mehrheiten der Bevölkerung gesprochen zu haben."

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