Revolution

Umweltbibliothek

Die Zionskirche umrahmt von grünen Bäumen.

Die Zionskirche, 2022.

Das gelbgestrichene Gemeindehaus der Zionskirche umgeben von Wohnhäusern.

Im Gemeindehaus befand sich früher die Umweltbibliothek, 2022.

UMWELTBIBLIOTHEK

Ein Freiraum für Regimegegner

Die Zionskirchengemeinde beherbergt seit 1986 die Umweltbibliothek. Ihre Mitglieder sammeln und verbreiten Informationen über Missstände und Unterdrückung in der DDR. Als der Staat gegen sie vorgeht, behaupten sich die Oppositionellen.

DIE GESCHICHTE HÖREN

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In der Nacht auf den 25. November 1987 stürmt die Geheimpolizei der DDR den Keller mit den Druckmaschinen. Sie will die Oppositionellen auf frischer Tat ertappen – bei der Herstellung des regimekritischen Blattes "Grenzfall". Doch der Plan misslingt, von der verbotenen Zeitung finden sie keine Spur. Trotzdem nehmen die Geheimpolizisten im Haus der Zionsgemeinde sieben Menschen fest, einer von ihnen ist erst 14 Jahre alt.

Die Gemeinde der Zionskirche ist ein wichtiger Schutzraum für Regimegegnerinnen und -gegner in der DDR. Unter ihrem Dach gründet im Herbst 1986 eine Handvoll Oppositioneller die Umweltbibliothek. Ihnen geht es um die gewaltigen ökologischen Probleme im Land und um Menschenrechtsthemen. Gemeindehaus und Kirche werden die Treffpunkte der Gruppe. In zwei Kellerräumen sammelt sie Untergrundliteratur und Informationen aus der Bundesrepublik. Mit klapprigen Maschinen drucken die Oppositionellen eine eigene Zeitschrift, die "Umweltblätter". Darin berichten sie jeden Monat über Ökologie, Widerstand und Unterdrückung, auch im kommunistischen Polen oder Ungarn. In die Umweltbibliothek kommen Mitglieder von Menschenrechts- und Friedensgruppen aus der ganzen DDR.

Nach den Festnahmen beginnen Mitglieder der Umweltbibliothek in der Zionskirche die erste Mahnwache in der DDR. Die Oppositionellen harren Tag und Nacht in der Kirche aus, schreiben ihre Forderungen auf Transparente und verlesen die neuesten Entwicklungen. Ost-Berlinerinnen und –Berliner kommen und unterstützen den Protest mit Lebensmitteln. Ein Kontakttelefon wird eingerichtet, es sammelt Neuigkeiten und Reaktionen auf die Festnahmen. Es zahlt sich aus, dass die Umweltbibliothek gute Verbindungen zu westdeutschen Journalisten hat. Über die Westmedien erfahren viele in der DDR erstmals von der Oppositionsbewegung. Im In- und Ausland protestieren Politiker und Prominente gegen die Verhaftungsaktion. Drei Tage später sind alle Festgenommenen wieder frei.

Die Aktion in der Umweltbibliothek ist eine schwere Niederlage für das DDR-Regime. Bisher hat der Staat unliebsame Demonstrierende und Oppositionelle verhaftet oder in den Westen abgeschoben. Doch angesichts der breiten Aufmerksamkeit und Kritik an solchen repressiven Maßnahmen lassen sich die ablehnenden Stimmen nicht mehr so leicht unterdrücken. Dem Regime bleibt nichts anderes übrig, als seine Gegner zu dulden – ein wichtiger Schritt zur Stärkung der DDR-Opposition und ein Riss in der Machtfassade der SED-Diktatur.

UMWELTBIBLIOTHEK

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Oppositionelle treffen sich in der Umweltbibliothek im Gemeindehaus der Zionskirche, um kritische Schriften zusammenzutragen und zu verbreiten. Sie berichten von ihrer Arbeit und einer Konfrontation mit der Geheimpolizei.

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Intro
Christian Halbrock gründet mit anderen die Umweltbibliothek.
Siegbert Schefke über den Ortsvorteil der Umweltbibliothek.
Dirk Moldt organisiert eine Mahnwache.
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Umweltbibliothek

Pressefreiheit existiert in der DDR nicht. Informationen werden vom Staat gefiltert, Widerspruch fast unmöglich gemacht. In der Umweltbibliothek an der Zionskirche verfasst und sammelt eine kleine Oppositionsgruppe ab 1986 Materialien über ökologische Missstände und andere kritische Themen.

ZEITZEUGE

Christian Halbrock

Christian Halbrock wächst in einem christlichen Elternhaus auf. Schon als Jugendlicher kritisiert er die DDR. Mit Gleichgesinnten aus der Umweltszene tritt er in die Zionsgemeinde ein und gründet die Umweltbibliothek.

"Wir haben uns gezielt in Mitte die Zionskirche ausgeguckt. Von der war bekannt, dass sie relativ strukturschwach war und wenig Mitglieder hat. Wir hatten sogar noch die Idee, dass wir gezielt diese Gemeinde unterwandern, uns alle als Mitglieder einschreiben und so auch gewisse Mehrheiten herstellen. Wir haben gesagt: 'Okay, wenn wir dann einen relativ hohen Stand an Personal in der Kirchengemeinde haben, dann wählen wir unsere eigenen Leute in den Kirchengemeinderat.' Ich bin auch wenig später tatsächlich in den Kirchengemeinderat gewählt worden. Dann haben wir relativ schnell festgestellt, dass der Pfarrer ganz auf unserer Seite ist, dass er das toll findet, Pfarrer Simon. Und dann kam es eben zur Gründung dieser Umweltbibliothek. Dann ging es sozusagen darum, wo und wie. Der Pfarrer wusste auch gleich wo. Der hatte seine Kellerräume und hat seinen Schwiegersohn darum gebeten, dass er seine Motorradwerkstatt dort auflöst. Aller Krams kam raus und dafür durften wir dort einziehen."

ZEITZEUGE

Siegbert Schefke

Die Umweltbibliothek in Ost-Berlin liegt nahe der Mauer. Der Bürgerrechtler und Journalist Siegbert Schefke sieht darin einen großen Vorteil speziell bei der Beschaffung von Materialien für den Druck.

"Wir hatten den Vorteil einer Grenzstadt mit verschiedenen Sachen, die man sich einfach besorgen konnte und die man auch kurz transportieren konnte und wo man auch Lücken in der Mauer fand, damit man auch zu der Druckmaschine kam. Wir hatten ja zum Anfang diese Matrizen. Das ist wie so ein Blaupapier und das verflog nach ein paar Wochen. Dann war das Blatt wieder weiß. Als wir dann die Pelikan Matrizen hatten und da auch richtig Masse mit machen konnten, das war natürlich viel toller. Aber die kosteten nun mal eine, zwei Westmark und die mussten auch erstmal irgendwo organisiert werden."

ZEITZEUGE

Dirk Moldt

In der Nacht auf den 25. November 1987 stürmt die Geheimpolizei die Umweltbibliothek. Sie hofft, die dort Engagierten beim Druck eines regimekritischen Blattes zu ertappen. Die Aktion scheitert, die Blätter werden nicht gefunden. Trotzdem nimmt sie die Anwesenden fest. Am folgenden Abend verhaftet sie weitere bei dem Versuch, in der Zionskirche eine Mahnwache für die Inhaftierten zu organisieren. Dirk Moldt gibt nicht auf. Einige Stunden später wagt er einen zweiten Versuch, eine Mahnwache zu beginnen.

"Und dann sind wir da wirklich nachts rüber. Es war, glaube ich, der längste Weg, den ich in meinem Leben gegangen bin. Ist ja nur eine halbe Minute Fußweg gewesen. Aber die haben schon geschlafen. Es war keiner mehr da, der uns hätte festnehmen können. Überhaupt keine Polizei. Am Anfang war eine sehr starke Polizeipräsenz. Wir sind dann rüber, haben da Kerzen angezündet, und haben die ganze Nacht in dieser Schweinekälte ausgeharrt in der Kirche, uns irgendwelche Geschichten erzählt. Es war furchtbar kalt, so ein altes Gemäuer. Und irgendwann morgens, weiß gar nicht, so um sechse, siebene, kamen dann welche, die hatten auch noch einen Kirchenschlüssel, die die Mahnwache einrichten wollten. Ach, hier sind ja schon welche drinnen und so. Also: Wir haben die praktisch eingerichtet. Dann bin ich nach Hause gefahren und habe mich erstmal schlafen gelegt."

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Adresse

Pfarrhaus der Zionskirchgemeinde
Griebenowstraße 16
10435 Berlin
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