Einheit

Treuhandanstalt

Das Detlev-Rohwedder-Haus mit einer Straße davor.

Detlev-Rohwedder-Haus, heute Bundesfinanzministerium, 2022.

Bauarbeiten vor dem Sitz der Treuhandanstalt.

Bauarbeiten vor dem Hauptsitz der Treuhandanstalt, 1991.

TREUHANDANSTALT

Privatisierung, Arbeitslosigkeit, Proteste

Die Treuhandanstalt übernimmt 1990 die volkseigenen Betriebe der DDR, um sie in die soziale Marktwirtschaft zu überführen. Sie soll neue Eigentümer für die Betriebe finden. Deren häufig maroder Zustand führt dazu, dass Millionen Menschen ihre Arbeit verlieren. Der Zorn vieler Ostdeutscher richtet sich gegen die Treuhand.

DIE GESCHICHTE HÖREN

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Der 16. September 1993 ist ein Tag wie viele andere vor dem riesigen Hauptsitz der Treuhandanstalt in Berlin. Wieder einmal ziehen Protestierende vor den Haupteingang in der Wilhelmstraße. Mit 300 Menschen ist die Kundgebung überschaubar – und doch eine Besondere. Ihren Kern bilden Bergleute aus Bischofferode in Thüringen. Sie wehren sich heftig gegen die Schließung ihrer Kaligrube und erhalten dafür weltweit Aufmerksamkeit. Das Bergwerk haben sie besetzt, rund ein Dutzend von ihnen ist in den Hungerstreik getreten. Und eine Handvoll läuft den fast 300 Kilometer langen Weg vom Eichsfeld bis an die Spree zu Fuß. Sie wollen, wie sie sagen, "einmal mit der Treuhand das machen, was sie seit drei Jahren in Ostdeutschland durchzieht: plattmachen".

"Plattmachen" ist der umgangssprachliche Ausdruck für die Schließung von Betrieben. Allzu oft sieht die Treuhandanstalt keine Alternative. Dabei verfolgt die im Sommer 1990 durch das erste frei gewählte DDR-Parlament geschaffene Behörde ein ganz anderes Ziel: Knapp 8.000 Betriebe der zentral gelenkten DDR-Wirtschaft mit rund vier Millionen Beschäftigten soll sie in die Marktwirtschaft überführen. Was bisher die Staatspartei SED kontrollierte, soll in private Hände übergehen. Die mehrheitlich westdeutschen Käufer verpflichten sich, Geld zu investieren und Arbeitsplätze zu erhalten. Die meisten bekommen Starthilfe von der Treuhand.

Die Erwartung vieler ist, dass die DDR einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt wie Westdeutschland in den Fünfzigerjahren. Ein Treuhand-Direktor bilanziert hingegen: "Jeder hat gewusst, dass fast alles Schrott ist. … Alles war zusammengefallen." Was die veralteten Fabriken herstellen, wird am 1. Juli 1990 zum großen Teil unverkäuflich. Ab diesem Tag gelten in der DDR D-Mark-Preise für Rohstoffe und Löhne wie auch für die fertigen Produkte. Aufgrund der gestiegenen Kosten brechen die bisherigen Absatzmärkte vor allem in Osteuropa weg.

Bald schlägt der anfängliche Optimismus in Verzweiflung um. Gegen eine Privatisierung vieler Betriebe sprechen allzu häufig Schulden, offene Eigentumsfragen, vergiftete Böden und schlechte wirtschaftliche Aussichten. Jeder dritte Betrieb wird geschlossen. Auch viele engagierte Neueigentümer kommen um Entlassungen nicht herum. Im Schnitt verlieren sieben von zehn Mitarbeitenden ihren Arbeitsplatz, auch weil die DDR-Fabriken mit viel Personal relativ wenig herstellten. Zudem halten sich überforderte, manchmal auch gierige oder betrügerische Investoren nicht an die Vereinbarungen und schließen Unternehmen.

Wegen der dramatischen Massenarbeitslosigkeit ist die Arbeit der Treuhand noch heute sehr umstritten. Für einen der Treuhand-Manager steht fest, dass die Wut nicht die Richtigen trifft: "Im Grunde genommen ist das alles Zorn, der sich richten müsste gegen die Wirtschaftsführung der ehemaligen DDR und gegen die 30, 40 Jahre lang falsch betriebene Wirtschaftspolitik."

TREUHANDANSTALT

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Mit der Wiedervereinigung muss die DDR-Wirtschaft in die der Bundesrepublik eingegliedert werden. Die Treuhandanstalt soll diese Aufgabe wahrnehmen. Ehemalige Mitarbeitende berichten über die Arbeit der Treuhand. Ein vierzehnjähriges Mädchen erlebt, wie sich ihre Stadt auch durch die Arbeit der Treuhand verändert. 

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Intro
Detlev Rohwedder erläutert die Aufgabe der Treuhand.
Nicole Päsler beobachtet zunehmende Arbeitslosigkeit in Eisenach.
Detlef Scheunert prüft für die Treuhand die Lage der Betriebe.
Erinnerungen hören Erinnerungen lesen

Zeitzeugenberichte

Treuhandanstalt

Die Treuhandanstalt soll die Betriebe der DDR, die sich bislang im Staatsbesitz befinden, privatisieren und die ostdeutsche Wirtschaft in die westdeutsche Marktwirtschaft eingliedern. Daraus folgen Deindustrialisierung und massenhafte Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland.

ZEITZEUGE

Detlev Rohwedder

Treuhand-Chef Detlev Rohwedder erklärt 1990 auf einer Pressekonferenz, was er als die zentrale Aufgabe der Treuhandanstalt sieht.

"Das Wesentliche ist, den gesetzlichen Auftrag  zu erfüllen, den die Treuhandanstalt von der Volkskammer bekommen hat, nämlich das volkseigene, staatseigene, industrielle Vermögen der DDR, das heißt also, die Kombinate, die VEBs, zu privatisieren, wo eben möglich, zu sanieren, in Ordnung zu bringen, wo eben möglich und stillzulegen oder zu liquidieren, wo unabweisbar."

ZEITZEUGIN

Nicole Päsler

Die Treuhandanstalt schließt mehrere Tausend volkseigene Betriebe in der ganzen DDR. Hierzu zählt 1991 auch das Automobilwerk in Eisenach, das bisher den Wartburg herstellt. Nicole Päsler erlebt damals als 14-Jährige, wie für viele Beschäftigte in ihrem Umfeld die Welt zusammenbricht.

"Zur Wendezeit war man sehr euphorisch und man hat so viel Hoffnungen gehabt, was sich alles entwickelt, was sich verändert, was sich verbessert und so. Da haben wir natürlich alle gedacht, das geht irgendwie so weiter. Sicherlich nicht in der Form mit dem Automobilwerk, aber, dass die Leute trotz alledem eine Arbeit haben. Uns ist ja in der Schule, es gab das Fach Staatsbürgerkunde, immer die hässliche Seite des Kapitalismus dargestellt worden: dass es Arbeitslose gibt, dass es Obdachlose gibt, dass die Preise exorbitant hoch sind, dass man ums nackte Überleben kämpfen muss. Und dann ist das auf einmal so eingetroffen. Das waren nicht die Ziele, für die wir auf die Straße gegangen sind."

ZEITZEUGE

Detlef Scheunert

Als einziger Ostdeutscher arbeitet Detlef Scheunert als Treuhand-Direktor. Er selbst ist zuvor in einem großen Berliner Bremsenwerk tätig. Für die Treuhand prüft er, wie es um Betriebe im Osten steht. Rückblickend berichtet er, wie er die katastrophale Lage der Industrie erkennt.

"Ich hatte im Bremsenwerk gesehen, wie die Realität aussieht. Das war ja ein Großbetrieb. Ich hatte aber noch gedacht, naja, das ist so typisch Berliner Schlendrian: große Schnauze, nichts dahinter. Und ich dachte, es wird andere Betriebe geben. Als ich dann aber mit Lauck durch die DDR gefahren bin, habe ich ein paar Lichtblicke, wie so ein Elektronik Kombinat, mal gesehen. In Jena, im Kombinat Zeiss Jena, wo die dann irgendwelche Steuerungen gebaut haben. Das war modernste Technik. Alles aus dem Westen. Ja was haben Sie dort gebaut? Steuerungen für die SS20. Rüstung. Also es war schon kaputt, die Substanz, wenn es um Schwerindustrie ging. Aber wenn es in Richtung Konsumgüter ging, dann war gar nichts mehr da. Und so war auch die Versorgungslage. Das haben die Menschen auch gewusst."

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